Apple Visiion Pro in einem Tesla
Dieser Mann verwendet eine 3.500 Dollar teure Apple Vision Pro in einem Tesla. Kurz darauf wurde er von der Polizei angehalten. Entgegen der Meinung mancher Kunden fahren Teslas Fahrzeuge noch nicht autonom.
Too Recklss

Es sind Aufnahmen, die im Netz für Belustigung sorgen, obwohl der Kern der Thematik alles andere als unterhaltsam ist: In einem Video ist der Fahrer eines Tesla Cybertruck zu sehen, der eine Apple Vision Pro vor den Augen trägt, während er mit den Händen gestikulierend die von der Augmented-Reality-Brille angezeigten Apps steuert. Anlass genug für Pete Buttigieg, US-Verkehrsminister, auf dem Social Network X einen Hinweis zu posten: Bei allen fortgeschrittenen Fahrassistenzsystemen sei es heute noch nötig, dass der Fahrer jederzeit die Kontrolle über das Fahrzeug hat.

Neben diversen anderen Fragestellungen rund um Augmented und Virtual Reality holt diese Entwicklung eine weitere Thematik wieder vor den Vorhang: Warum sich die bereits vor vielen Jahren artikulierte Vision vom autonomen Fahrzeug auch im Jahr 2024 noch nicht manifestiert hat. Denn wären die einstigen Prognosen eingetreten, dann wären Menschen in Autos auf die Rolle von Passagieren degradiert und könnten als solche Zeitung lesen, sich mit anderen Fahrgästen unterhalten oder eben Apps in einer 3.500 Dollar teuren Brille steuern.

Die Stufen des autonomen Fahrens

Um den aktuellen Status smarter Autos und die zukünftige Entwicklung zu verstehen, ist ein wenig Wissen aus der Theorie nötig. Wenn Expertinnen und Experten über assistiertes, automatisiertes und autonomes Fahren sprechen, dann unterteilen sie die Entwicklung in fünf Stufen, die vom Status quo bis in die Zukunft reichen. Beschrieben werden sie unter anderem auf der Website des deutschen Automobilclubs ADAC.

Wie sich die jeweiligen Stufen in den einzelnen Modellen manifestieren können und welche Sensoren dabei zum Einsatz kommen, wird auch in dem nachfolgenden Video des Fachmediums "Auto Motor Sport" erklärt. Hier ist auch von einem "Level 2 Plus" die Rede, worunter dem Redakteur zufolge zum Beispiel der BMW i5 fällt.

Dies sei eine fortgeschrittene Version des Levels 2, bei dem der Fahrer seine Hände komplett vom Lenkrad nehmen kann. Dies ist möglich, weil eine Kamera im Innenraum des Autos überwacht, ob der Fahrer weiterhin auf die Straße schaut. Die Haftung im Fall eines Unfalls liegt hier weiterhin beim Fahrer.

Autonomes Fahren: Heutige Level und ein Blick in die Zukunft mit autoELF! Bloch erklärt #238 | ams
auto motor und sport

Offiziell existiert diese Zwischenstufe namens "Level 2 Plus" nicht, erklärt Daniel Deimel, Experte für Fahrzeugkommunikation und autonomes Fahren beim ÖAMTC, dem STANDARD. Allerdings sei auch nicht überall gleich definiert, was unter die "Stufe 3" fällt. So kommunizieren manche Hersteller in ihren Presse- und Marketingmaterialien, dass das Auto jegliche Aufgaben übernehmen kann, und schaffen dadurch unrealistische Erwartungen. Die Einteilung der Fahrzeuge wird aber nicht von den Herstellern selbst, sondern von Behörden in den einzelnen Staaten vorgenommen.

Welche Hersteller sind schon wie weit?

Doch was ist nun wirklich der Status quo? Vergleichsweise weitverbreitet sind Fahrassistenzsysteme, also Autos des Level 1. Mehr noch: Deren Verbreitung wird demnächst stark zunehmen, da gewisse Systeme dieser Art in Österreich ab Juli 2024 verpflichtend in Neuwagen eingebaut sein müssen. Dazu gehören zum Beispiel ein Notbremsassistent, ein Notfallspurhalteassistent und ein Geschwindigkeitsassistent, aber auch zum Beispiel Müdigkeitswarner und Alkolocks. DER STANDARD berichtete.

Während manche Hersteller im höherpreisigen Segment auch Pkws der Stufe 2 anbieten, wird die Luft bei Stufe 3 schon recht dünn. Von diversen Experten heißt es, dass nur ein Hersteller diese Möglichkeiten derzeit kommerziell verfügbar mache: Mercedes mit der S-Klasse beziehungsweise mit der E-Limousine EQS. Unter anderem kann diese auf der Autobahn bei einer Geschwindigkeit von bis zu 60 Stundenkilometern teilautonom fahren. Ob dies erlaubt ist, variiert von Land zu Land – laut Deimel gilt die 60-km/h-Regel jedoch auch für Österreich. Zu diesem Zweck ist unter anderem ein Lidar-Sensor verbaut, der die Umgebung in einem 3D-Bild erfasst. Zusätzlich erfassen zwei Kameras stereoskopische Bilder, ein Radarsystem erfasst weiter entfernte Objekte und deren Geschwindigkeit. Zusätzlich gibt es insgesamt zwölf Ultraschallsensoren an Front, Flanken und Heck. Das Ganze kommt jedoch zu einem gewissen Preis: Laut Website kostet die EQS 117.270 Euro aufwärts.

Die Technologie des "Drive Pilot", der im Mercedes EQS eingesetzt wird.
Mercedes

Doch andere Hersteller ziehen nach, darunter BMW. Der bayerische Hersteller verkündet, dass ab Frühjahr mit dem neuen 7er-BMW "hochautomatisiertes Fahren auf Level 3" möglich sein soll. Auch hier soll es bei bis zu 60 Stundenkilometern auf der Autobahn möglich sein, die Hände zeitweise vom Lenkrad und die Augen von der Straße zu nehmen. Das Auto regelt dabei Geschwindigkeit, Abstand und Spurführung. Der Fahrer muss einspringen, wenn eine Gefahrensituation droht. Tut er dies nicht, so soll das Fahrzeug von selbst kontrolliert zum Stillstand gebracht werden. Zusätzlich zu den Kameras verfügt auch der 7er-BMW über Ultraschall- und Radarsensoren sowie über einen Lidar-Sensor.

Selbst Mercedes enttäuscht

Allerdings sind auch bei den Level-3-Fahrzeugen im Luxussegment, also dem oberen Ende der Fahnenstange unter den kommerziell verfügbaren Fahrzeugen, Enttäuschungen nicht auszuschließen. So hat der ADAC im vergangenen Jahr festgestellt, dass das Drive-Pilot-System von Mercedes in diversen Situationen nicht funktioniere, etwa bei Nacht, bei Nebel oder Regeln, bei Baustellen und in Tunneln sowie bei Temperaturen unter vier Grad Celsius.

Mercedes EQS DRIVE PILOT im Stau: Der Vorreiter des autonomen Fahrens? | ADAC
ADAC

Auch das vielzitierte Zeitunglesen sei oft nicht möglich, weil das System dann manchmal nicht erkenne, was der Fahrer tue, heißt es im Testbericht. An das Tragen einer VR-Brille ist somit wohl noch längst nicht zu denken. Generell lege das System hohen Wert auf Sicherheit und gebe deshalb im Zweifelsfall die Verantwortung lieber wieder an den Menschen ab. Auch aufgrund der Haftungsfrage. Dennoch wird die Mercedes-Technologie als Durchbruch in Richtung autonomes Fahren bezeichnet, weil dadurch eben schon mehr möglich sei als bei Autos der Stufe 2.

Tesla hinkt hinterher

Und was ist nun mit Tesla? Der Marktführer im Bereich der E-Mobilität hinkt gegenüber den deutschen Luxusmodellen hinterher, wenn es um automatisiertes Fahren geht. So ermöglicht das von Elon Musk angebotene "Full Self Driving Beta" (FSD) eben ungleich dem, was der Name suggeriert, kein selbstfahrendes Auto, sondern befindet sich auf Level 2, dem teilautomatisierten Fahren.

Musk wird allerdings nicht müde, trotzdem stets eine nahe Zukunft des selbstfahrenden Autos vorherzusagen: erst im Sommer 2023 hieß es wieder, dass das vollautonome Fahren "bis Jahresende" Realität werde – wie schon so viele Male zuvor, hat die Prognose auch diesmal nicht gehalten. Wenn es einmal so weit ist, dann soll das Auto aber wie eine Airbnb-Wohnung verwendet werden können, indem es selbstständig zum Mieter fährt, schwärmt der Multimilliardär.

Das ist aber ein großes "Wenn". Und in den vergangenen Jahren sorgte eher für Aufsehen, dass manche Tesla-Kunden das "Beta" in der Namensgebung des Systems ignorierten und dieses wie eine Technologie verwendeten, die Level 3 oder aufwärts ist. Wie etwa die besagten Herren mit den Vision-Pro-Brillen. Musk selbst musste bei einer Demonstration der FSD im vergangenen Sommer seinen Tesla von einem Unfall abhalten, weil das System unterwartet bei roter Ampel in eine Kreuzung beschleunigte.

"Von vielen Herstellern wird auch falsch kommuniziert, was möglich ist", sagt Deimel: Es gebe bereits gute Assistenzsysteme, die Unfälle verhindern können. Aber diese sind eben nur assistierend, und als solche sollten sie auch gehandhabt werden. Gerade Fälle von Unfällen mit derartigen Systemen würden der Entwicklung auch nicht guttun und die Akzeptanz in der Bevölkerung entsprechend mindern.

Stufe 5 gibt es schon

Das zeigt sich auch in einem anderen Anwendungsszenario, abseits der privat angeschafften Pkws: bei den selbstfahrenden Robo-Taxis in den USA. Diese fallen laut Deimel eigentlich schon unter die Stufe 5, mussten jedoch zuletzt ebenfalls Rückschläge verbuchen. So hatte der Anbieter Cruise seine Fahrten mit autonomen Fahrzeugen gestoppt, nachdem es zu einem schweren Unfall gekommen war. Ein fahrerloses Auto des Konkurrenten Waymo war wiederum zuletzt in San Francisco mit einem Radfahrer zusammengestoßen.

Digibus in Salzburg
Fährt durch eine schöne Landschaft: der Digibus in Salzburg.
wildbild/Herbert Rohrer/Salzburg Research

Laut Deimel wird in den USA schneller vorgeprescht, während man hierzulande gezielt fördert sowie Tests und erste Anwendungen dort ermöglicht, wo es Sinn ergibt. So gibt es in der Salzburger Gemeinde Koppl zum Beispiel das Projekt des "Digibus": ein handelsüblicher VW E-Crafter, der mit zusätzlicher Sensorik und Software in ein automatisiertes Forschungsfahrzeug umgebaut wurde, um Fahraufgaben selbstständig zu übernehmen. Außerdem kann das Fahrzeug über eine eingebaute Onboard-Unit mit straßenseitig installierter Infrastruktur kommunizieren. Ein anderes prominentes Beispiel sind die autonomen Busse, die bis Juni 2021 in der Seestadt Aspern fuhren.

Diese Fahrzeuge sind laut Deimel bereits hochautomatisiert und könnten somit als Stufe 5 gelten. Sicherheitshalber befindet sich jedoch bei jeder Fahrt eine Fachperson im Fahrzeug, die dieses im Notfall abschalten kann. In der Praxis wird hier also noch von Stufe 4 gesprochen.

Viele Herausforderungen

Auf dem Weg zum selbstfahrenden Auto ortet Deimel jedenfalls viele Themenfelder, die es zu adressieren gilt. Erstens wäre da die rechtliche Frage, denn noch gibt es keine ausjudizierten Präzedenzfälle, in denen die Thematik der Haftung geklärt ist.

Das zweite Themenfeld ist ein technisches, unter anderem jenes der Sensorik. Denn jeder Sensortyp hat seine eigenen Vor- und Nachteile: Eine Kamera inklusive Bilderkenungssoftware kann Objekte wie Tiere und Menschen besser identifizieren als zum Beispiel ein Radar, funktioniert aber schlechter bei Nacht. Hier zeigt der Radar seine Stärken, der wiederum bei Starkregen durch die Regentropfen ein Rauschen verursacht.

Das Optimum ist eine Kombination der verschiedenen Sensoren, was aber nicht nur eine Kostenfrage ist, sondern auch entsprechend hohe Datenmengen verursacht – woraus sich die Frage ergibt, ob diese lokal oder in der Cloud verarbeitet werden. Auch hier bietet sich eine Kombination an: Ist eine niedrige Latenz nötig, wie etwa beim Reagieren auf kritische Verkehrssituationen, ist die lokale Datenverarbeitung sinnvoll. Verkehrs- und Witterungsinformationen können wiederum aktuell von externen Quellen bezogen werden.

Und dann ist da noch die Frage der Akzeptanz in der Bevölkerung. Hier sahen in einer Umfrage des ÖAMTC von 2022 zwar 63 Prozent einen Vorteil in der potenziellen Vermeidung von Unfällen durch automatisiertes Fahren, und die Befürwortung dieser Technologien hat im Lauf der Jahre laut Deimel immer weiter zugenommen. Gerade das öffentliche Ausjudizieren von etwaigen Unfällen kann das Stimmungsbild jedoch wieder drastisch ändern.

Und wie geht es jetzt weiter?

Entsprechend den enttäuschten Erwartungen der Vergangenheit und den zahlreichen Herausforderungen lässt sich laut Deimel auch keine seriöse Prognose abgeben, wann tatsächlich das Level 5 – also das komplett autonome Fahrzeug – erreicht wird. Besseren und künftig vermutlich günstigeren Sensoren steht die Gefahr unvorhergesehener Rückschläge gegenüber.

Zu beobachten ist jedenfalls, dass die Hersteller derzeit die Technologie der Stufe 3 in hochpreisigen Modellen ausrollen, da sie dort eine Kostendeckung erzielen können. Wird dies von den Kunden und der Bevölkerung angenommen und wird die verbaute Technik günstiger, so könnte diese künftig auch in anderen Fahrzeugen verbaut werden. Denkbar wäre etwa auch, dass die Funktionen im Rahmen eines Abo-Modells nur dann freigeschaltet werden, wenn der Autobesitzer sie braucht, etwa bei einer längeren Fahrt in den Urlaub.

Bis aber eine Apple Vision Pro oder andere AR- und VR-Brillen am Steuer verwendet werden dürfen, wird noch viel Zeit vergehen. In der Zwischenzeit können es Apple-Fans aber auch so handhaben wie der Herr im nachfolgenden Video: die Brille einfach benutzen, während man als unbeteiligter Passagier mit den Öffis fährt. (Stefan Mey, 10.2.2024)